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Barcelona: Ein Mann, gekleidet in ein schwarzes Hemd und weiße Hose, betritt das Haus No. 118 in der Calle Casp. Es ist 9.22 Uhr: Die Frisur hält. Er nimmt die Treppe und arbeitet sich die Stufen hoch, vorbei an Handwerkern, die den Aufzug blockieren und gerade dabei sind Stromkabel zu verlegen. Etwas außer Atem kommt er im 4. Stock an und blickt auf seine Uhr auf dem Handy: es ist jetzt 9.24 Uhr. Als die Zeiger auf 9.25 Uhr springen, atmet er einmal tief durch, lässt sein Handy in die Hose gleiten und schreitet durch die nur angelehnt Tür zu seiner Linken. Die Tür trägt die Aufschrift: Artificial Solutions - interacting naturally.
Als er die Tür durchschreitet, blickt ihn eine spanisch aussehende Frau hinter dem Empfangsschalter fragend an. Er räuspert sich und sagt in gebrochenem Spanisch: Buenos dias! Mi espanol no es bien. Habla inglés también? Man merkt ihm an, er würde gerne Englisch sprechen... Doch zu seiner großen Überraschung, erwartet ihn die Frau schon und heisst ihn fließend auf Deutsch willkommen - ihr Name ist Raquel. Sie fordert ihn auf, kurz zu warten, Anita wird ihn gleich abholen und alles weiter mit ihm besprechen. Er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dass sein Spanisch so schlecht ist, hätte er auch nicht gedacht.
Nach nur maximal einer Minute, erscheint Anita. Kurze blonde Haare, kurzer Rock, kurzes Lächeln - in einem Wort: hübsch - und heisst ihn in gebrochenem Englisch willkommen. Sie könnte Spanierin sein, doch es stellt sich heraus, sie ist aus Ungarn. Beide gehen in einen Besprechungsraum gleich um die Ecke. Dort warten bereits Mikael aus Schweden und Davide aus Italien, gerade mit einem osteuropäisch wirkenden Mann geschäftig an einem Laptop arbeitend. Der Mann heisst Petter. In den nächsten 45 Minuten wird er mit einem Bleistift, einem Kugelschreiber und einem Block inklusive Post-its ausgestattet und erfährt, womit sich ASol, wie sich Artificial Solutions gerne nennt, so den ganzen Tag beschäftigt. Dann bekommen alle drei, Mikael, Davide und er noch die Grande Tour durch das Büro und werden allen vorgestellt. Nett! Ihm gefällt, was er sieht. Als sie das Admin Büro betreten begrüßt ihn plötzlich von hinter der Tür jemand auf Deutsch: Na, ich glaube wir kennen uns doch? Ja hallo...so sieht man sich mal wieder! Als er sich umdreht merkt er, es ist Nicole. Sie hatten sich im Studium in Deutschland kennen gelernt. Er war im ersten, sie im siebten Semester. Fast schon lange her. Die beiden begrüßen sich mit Küsschen, wie man das in Spanien so macht. Schön sie wiederzusehen. Er hatte gehört, sie arbeite auch hier.
30 Minuten später sitzt er vor einem Computer, Sachen vor sich auf dem Tisch und ist noch ein bisschen planlos. Eben hat er zum ersten Mal sein Postfach geöffnet und 45 ungelesene Nachrichten gefunden - nicht gerade das, was er sich unter einem locker flockigen Start in den Tag vorstellt. Von Mikael und Davide ist nichts mehr zu sehen, dafür sitzen um ihn jetzt vier weitere Personen: Giorgio aus Italien, Tristan aus Frankreich, Trude aus Norwegen und noch eine blonde Frau, von der er leider auf Anhieb Namen und Herkunft vergessen hat. Das muss er auf jeden Fall noch klarstellen. Wie konnte ihn sein Gedächtnis da nur wieder im Stich lassen. Super! Ganz toll! Nach einigen Stunden Arbeit, verlässt er um 13.45 Uhr mit Tristan und Giorgio das Gebäude, alle drei machen sich auf dem Weg zu einem Imbiss. Giorgio bestellt gleich für alle drei drei mal Bocadillo con Jamon, y el oferta con tres coca colas! Por Favor! Ein Bocadillo alleine kostet 2,85 Öri, das Angebot zusammen mit einer Coke 2,95 Öri - naja, die 10 Cent braucht er sich jetzt auch nicht sparen. Er kramt einige Zeit in seinem Geldbeutel und findet gerade noch 2,95. Seine Bank wollte ihm am Wochenende kein Geld mehr geben, nachdem er alles abeghoben hatte. Nochmal Glück gehabt...wenigstens reicht es mittags für einen Snack. Sie gehen noch ein Stück weiter und machen es sich nahe des Arc de Triomf gemütlich. Gefühlte 35 Grad Celsius: aber die Frisur hält!
Er sitzt jetzt wieder vor seinem PC. Gerade sind die drei wieder angekommen, da erfährt er, dass Michiko hin sucht. Da sieht er auch gerade die Mail, die sie ihm geschickt hat und eine Sekunde später steht sie auch schon wie aus dem Nichts vor ihm. Hey! You wanna come with me? Davide is already waiting for us! Sie hat nicht nur einen japanischen Namen, sondern sieht auch eindeutig so aus. Kurz und knapp: sie ist Japanerin. Sie erzählt Davide und ihm nochmal, wie ASol's Produkte eigentlich funktionieren, nichts erwähnenswert Neues, was er da hört und nach ca. 30 Minuten ist sie so schnell wieder verschwunden, wie sie vorher aufgetaucht ist. Er hat so das Gefühl, dass er sie noch öfters sehen wird - Michiko.
18.03 Uhr. Es ist so gut wie niemand mehr im Büro. Die Abteilungsleiterin aus Brasilien ist auf Geschäftsreise in Schweden und die Kollegin aus Venezuela auch die ganze Woche nicht da. Es sitzt ihm nur noch die blonde gegenüber, deren Namen ihm immer noch nicht wieder eingefallen ist. Wie blöd bist du eigentlich? denk er sich in diesem Moment. Er unterhält sich trotzdem noch ein bisschen mit ihr, trifft nochmal Nicole und schickt zu guter Letzt eine Begrüßungs-Mail an alle, dass er ab heute hier arbeiten wird. Vier Monate liegen jetzt vor ihm. Zufrieden grinst er und verlässt mit diesem Gedanken das Gebäude No. 118, auf dem Weg nach Hause. Er sollte noch einkaufen gehen, sonst gibts heute abend wieder nur Müsli, Joghurt und Äpfel - Nein, danke!
Als er die Tür zu seinem Appartment aufsperrt, erwaten ihn bereits seine zwei thailändischen Mitbewohnerinnen - Amy und Vivian. Sie besuchen die Universität, beide studieren Economics. Er lässt seine Einkaufstüten zu Boden fallen, zieht sich was bequemes an. Er fängt an sich etwas zu kochen: Tagliatelle mit Hühnchen, Zuccini und Käsesoße. Fast wie Alfons Schubeck! denkt er sich. Wenn das seine Mutter sehen würde, sie wäre wohl stolz auf ihn. Er denkt an Alfons, sein großes Idol...und so geht der Tag zu Ende!
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