Dienstag, 3. Juni 2008

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Mikaela! Mikaela, das war der Name der Blonden von gegenüber im Büro. Das fiel ihm jetzt wieder ein. Wieso gerade jetzt !? Es ist 4.35 Uhr morgens und pünktlich wie jeden Tag um diese Uhrzeit liegt er mit offenen Augen auf seinem Bett, geweckt von dem Geräusch von Tellern und Besteck, das gewaschen wird, im Appartment von nebenan. Wieso spült jemand um diese Uhrzeit eigentlich immer sein Geschirr ab? Er dreht sich um, wünscht sich einen Meteoriteneinschlag im Zimmer seines Nachbarn und versucht noch einmal weiterzuschlafen. Das Klingeln des Weckers wird ihn erst um 7.30 Uhr wecken. Noch genug Zeit.
Verschlafen sieht er sich im Spiegel an, während die Zahnbürste sich kreisförmig über seine Zähne bewegt. Seine Gedanken sind noch ganz abwesend, was sich auch erst bessern wird, wenn er erst mal unter der Dusche steht. Die hohe Erfolgsquote der Dusche, ihn zu wecken, mag wohl auch damit zu tun haben, dass es durchaus komplexe wissenschaftliche Berechnungen benötigt, um konstant warmes Wasser zu bekommen. Eiskalt bis unerträglich heiß ist problemlos möglich . Wenn letzteres auch nur für circa 3 Minuten am Stück. Bei Gelegenheit muss er die Thailänderinnen nach dem Geheimnis des warmen Wassers fragen...
Er knöpft sein Hemd zu, bindet sich auch noch den rechten Schuh zu und stopft sich sein Hemd in die Hose. Wie man an der Reihenfolge erkennen kann, hat die Dusche heute nicht wirklich ganze Arbeit geleistet. Er macht den Kühlschrank auf und nimmt eine Schüssel mit Salat heraus. Gestern vorsorglich noch vorbereitet, um seinen Hunger in der Mittagspause zu stillen,
schüttet er jetzt noch eine Dose Thunfisch über den Salat, kippt vorsichtich Essig und Öl darüber und mischt nochmal kräftig durch. Wie soll man von so etwas satt werden? Der Thunfisch hat das ganze Grünzeug jedoch schon deutlich aufgewertet. Von den Nährwerten mal ganz abgesehen. Er macht sich auf den Weg. Um sich einzureden, er macht täglich Sport, lässt er den Aufzug links liegen und nimmt die Treppe die sieben Stockwerke hinunter.
13.45 Uhr. Mittagspause. Er sitzt mit Giorgio und Tristan auf den Grünflächen vor dem Arc de Triomf. Alle drei nebeneinander und essen Salat aus einer Tupperware-Box. Ein trostloser Anblick für vorbeikommende Touristen. Er lässt sich zurückfallen ins Gras und schließt für einen Moment die Augen. Nur 3 Minuten Siesta! Wie Tristan es in gebrochenem Englisch mit clichéhaftem italienischen Akzent formulieren würde, genau richtig, um erfrischt die restliche Arbeitszeit zu überstehen. Er schwört darauf. Als er die Augen öffnet, schreitet vor ihm ein Mann vorbei. Soweit nichts ungewöhnliches, nur dieser ist bis auf die Zigarette, an der er zieht, mit nichts bekleidet, dass ihn auch nur irgendwo bedecken könnte. Splitternackt, inklusive nahtloser Bräune, versteht sich. 'In Katalonien ist es das Recht jeden Mannes, sich nackt in der Öffentlichkeit zu zeigen' So oder so ähnlich hatte er es im Reiseführer gelesen, aber mehr als unwichtig abgetan. Da hätte er sich mal besser seelisch vorbereitet. Unvorbereitet steckt man das nicht so ohne weiteres weg. Nicht in der Mittagspause! Andere Passanten scheinen dies besser zu meistern und sehen an dem Nackedei augenscheinlich nichts außergewöhnliches. Man gewöhnt sich eben einfach an alles. Zu dieser Erkenntnis ist er spätestens gekommen, als er noch in England lebte. Gut, dass er schon fertig gegessen hat.
Als er zuhause ankommt, sitzen die zwei Thailänderinnen an exakt den gleichen Plätzen wie gestern, vorgestern, dem Tag davor, Sonntag, Samstag, Freitag, Donnerstag und Mittwoch letzter Woche. Er zögert kurz und schüttelt dann nur den Kopf. Er wirft seine Sachen durch die offene Tür in sein Zimmer und setzt sich an seinen Platz. Den gleichen wie gestern, vorgestern, dem Tag davor, Sonntag, Samstag, ...